Die Hilflosigkeit der Helfer

 


Die vielen Flüchtlinge stoßen auf eine überwältigende Hilfsbereitschaft der Bevölkerung. Aber auch professionelle Unterstützung wird dringend gebraucht. Asylbewerber*innen sind besonders auf medizinische und psychologische Versorgung angewiesen. Nach einer Studie ist jedes fünfte Flüchtlingskind von einer Posttraumatischen Belastungsstörung betroffen.

Wie schlimm das ist, wird klar, wenn man sich bewusst macht, was eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) ist. Die Voraussetzung dafür ist ein Trauma, das nicht mehr in den Bereich der normalen belastenden Lebensereignisse fällt, wie Tod eines nahen Angehörigen, was schlimm genug ist, sondern ein Trauma, das durch ein Ereignis ausgelöst wird, das die Existenz bedroht und das Weltbild zusammenbrechen lässt.

Es sind Ereignisse, die man schlicht gesagt, seinem schlimmsten Feind nicht wünscht. Soldat*innen, die nach einem Bombenangriff abgerissene Körperteile ihrer Kamerad*innen einsammeln, in Plastiktüten packen und in die Klinik fahren, in der verzweifelten Hoffnung, es könne noch eine*r gerettet werden, haben so eine traumatische Erfahrung, die zu einer Posttraumatischen Beastungsstörung führen kann, schwere Vergewaltigungen mit Todesangst,  Kinder, die hilflos mitansehen wie der Vater ein am Boden liegendes Geschwister halbtot tritt. Es sind Ereignisse, nach denen nichts mehr so ist, wie es war. Nicht jeder, der so ein traumatisches Ereignis erlebt hat, wird an einer Posttraumatischen Belastungsstörung erkranken, aber jeder, der PTBS hat, hatte so ein Erlebnis.
Das heißt, die Kinder kommen aus der Hölle. Sie brauchen dringend professionelle Hilfe, die beste psychologische Betreuung, die wir haben.

Deutschland gilt als Wissenschaftsstandort. Die universitären Ausbildungen kosten sowohl den Staat wie die Studierenden viel Geld, letztere auch Lebensjahre, Nerven und Anstrengungen. Das gilt besonders fürs Psychologiestudium. Da sich für Psychologie viele Bewerber*innen interessieren, ist der NC sehr hoch, an sogenannten Exzellenzunis oft bei 1,0, aber auch an weniger gut ausgestatteten Universitäten nicht unter 1,4. Seit Einführung des Bachelor/Mastersystems hat sich die Durchschnittszeit fürs Studium auf knapp sieben Jahre erhöht. Um einen Masterplatz nach dem Bachelor in klinischer Psychologie zu bekommen, muss man neben einem erneuten NC viele andere Voraussetzungen erfüllen. Für die Ausbildung zum klinischen psychologischen Therapeuten arbeitet man nach dem Studium ein Jahr unbezahlt, aber voll verantwortlich in einer Klinik, danach kommen noch mal drei bis fünf Jahre Therapieausbildung.

Das sind im Schnitt zwölf Jahre Ausbildung, nach denen man noch nicht mal promoviert ist, die einem alles abverlangen und fast unmöglich zu bewältigen sind ohne finanziell gut ausgestatteten Hintergrund. Man sollte davon ausgehen, dass es klinischen Psychotherapeut*innen nach zwölf Jahren Ausbildung an einem Wissenschaftsstandort möglich ist, Asylbewerber*innen mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung zu helfen. Aber nein. Denn keiner der sehr gut ausgebildeten Psycholog*innen spricht arabisch.

Vor lauter Elite, Anspruch und Leistungsanforderungen, neigt die Psychologie dazu, zu vergessen, wofür sie da ist. Nämlich Menschen zu helfen. Aus allen Schichten. Bereits 1989 wurde nachgewiesen, dass die wissenschaftliche Psychologie von den „oberen Schichten“ bestimmt wird, mit der Folge, dass die Psychologie Werte und Normen dieser Klasse als bestimmend für die Gesellschaft prägt. So wird Leistungsmotivation als positiv angesehen, Altruismus und soziales Handeln aber bestenfalls neutral gewertet.
Auch die Tatsache, dass die Sucht nach Macht und Geld (im Gegensatz zu vielen anderen Süchten) NICHT psychologisch erfasst ist, kann man als Ausfluss dieser die oberen Schichten bestimmenden Werte, die via Psychologie die Gesellschaft prägen, ansehen.
Klar, kaum ein Reicher wird einräumen, zwanghaft Geld scheffeln könne eine Störung sein ;-)

Da die Bevölkerung nicht angemessen im Psychologiestudium repräsentiert wird, sind praktizierende Psycholog*innen ganz überwiegend mit Privilegien aufgewachsen. Dass diese kaum mit natürlicher Einfühlung die Lebenswelten benachteiligter Menschen erfassen können, liegt auf der Hand - ein schweres Versagen der Hochschulpolitik, da Arme überproportional an schweren psychischen Erkrankungen wie Psychosen leiden.

Ganz bizarr wird es, bedenkt man, dass auch Menschen mit muslimischem Hintergrund aufgrund der erlebten Ausgrenzung mehr an psychischen Erkrankungen wie z.B. Depressionen leiden, sie es aber durch ihre benachteiligten Umstände sehr selten in einen „Elite“studiengang schaffen. Dass es fast unmöglich ist, sich ohne diese Prägung in die Nöte und Möglichkeiten von Muslimen hineinzudenken, ist offenkundig. Wir haben also eine „Elite“ gezüchtet, die in Teilen ihrer Arbeit zweitklassig ist.

Ohne angemessene Quotierung im Psychologiestudium wird sich daran nichts ändern. Wir brauchen eine Quote für Kinder aus armen Familien, für welche mit muslimischem Hintergrund, für Bewerber*innen mit arabischen und türkischen Sprachkenntnissen. Die Psychologie ist für die Gesellschaft da, so wie sie beschaffen ist, nicht zur Stärkung der Klasse, aus der ihre Vertreter*innen kommen. Wenn wir nicht danach handeln und die Zugangsbedingungen fürs Psychologiestudium anpassen, stehen wir noch in 20 Jahren vor der Erkenntnis, dass auch noch so  viel „Exzellenz“ und EinserNCs keinem einzigen Kind die Alpträume nehmen können, wenn es keinen privilegierten Hintergrund hat.

Nun sind die allerwenigsten in der Lage die Studienzugangsbedingungen zu ändern, aber wir alle können den Kindern die Belastungen nehmen, unter denen sie nach Studien erschwerend leiden: Ausgrenzung, Ablehnung und das Gefühl nicht willkommen zu sein. Ihnen ein bisschen die emotionale Sicherheit geben, die sie verloren haben. Willkommen.


 

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© Christine Quindeau