Küss mich!
 

Lange führte das Küssen ein Schattendasein in der Forschung, über Jahrzehnte wurde bereits über Sex geforscht, das Küssen interessierte nicht. Erst seit einigen Jahren hagelt es gut evaluierte und zahlreiche Forschungsergebnisse in der Psychologie.

Aus der Medizin weiß man, dass Menschen, die viel küssen, seltener zum Arzt müssen, eine bessere Immunabwehr haben, geringere Stresshormonausschüttungen, bessere Cholesterinwerte und sie altern langsamer. An sich könnte ich jetzt diesen Blog beenden, denn jeder gesundheitsbewusste Mensch wird umgehend – anstatt weiterzulesen - ausschwärmen, um einen geeigneten Partner für diese Intimität suchen. Ja Intimität, Sex ist bereits so öffentlich geworden, normiert, geglättet und gestylt, dass man eher weiß, wie oft ein befreundetes Paar Sex hat als wie oft und wann es sich küsst. Vor dem Einschlafen oder beim abendlichen Heimkommen, immer mal wieder zwischendurch oder nur vor dem Sex einmal.

Es ist eine der letzten Intimitäten und als Ritual den Menschen vorbehalten. Nur wenige Affenarten drücken manchmal die Lippen auf die eines anderen, aber nicht bevorzugt mit dem Geschlechtspartner und es passiert selten. Es ist ein ausschließlich menschliches Verhalten, und schon deshalb psychologisch interessant. Warum küssen Menschen sich? Dafür hat die Forschung drei Motive eingegrenzt, die auf unterschiedliche Beziehungstypen hinweisen.

 
Ist Ihnen Küssen sehr wichtig? Dann sind Sie vermutlich anspruchsvoll bei der Partnerwahl. Menschen küssen, um das genetische Material des anderen abzuchecken. Für Sie entscheidet oder verändert sich oft nach einem Kuss, wie wichtig Ihnen der andere ist. Abgesehen von der biologischen Passung ist schon in einem langen Kuss enthalten, wie man miteinander umgeht, wie zärtlich, invasiv oder kommunikativ das Zusammensein stattfinden wird. Man kann einen Kuss als Einführung des musikalischen Motivs beschreiben, mit dem die Beziehung geführt wird. Es liegt auf der Hand, dass man, wenn einem Küssen wichtig ist, mit diesen Informationen eine bessere Vorauswahl trifft.

Wenn Sie Küssen als solches nicht so wichtig finden, küssen Sie in erster Linie, um die Wahrscheinlichkeit, dass Sex stattfindet, zu erhöhen. Das ist der zweite Grund, warum Menschen küssen. Sie haben dabei die Neurophysiologie auf Ihrer Seite, die bestätigt, dass die beim Küssen ausgelösten Reize vom zentralen Nervensystem direkt an die Geschlechtsorgane weitergeleitet werden. Wahrscheinlich sind Ihre Beziehungen nicht so fest und dauerhaft. Wenn Sie zwar in langen Beziehungen sind und trotzdem nicht gerne küssen, könnte das ein Hinweis sein, dass Sie eine Beziehungsphobie haben – auch bekannt als Nähe-Distanz-Problem.

Menschen, denen Küssen wichtig ist, haben generell im Schnitt bessere Beziehungen, die Partnerschaftszufriedenheit ist in langen Beziehungen größer. Und der Befund gilt sogar unabhängig vom Sex. Das liegt an dem dritten Grund, warum Menschen küssen: nämlich dem Ausdruck der Verbundenheit.

Nun kann man finden, der ritualisierte Kuss beim Kommen und Gehen ist nicht gerade romantisch, ja banalisiert er nicht ein großes Gefühl ähnlich dem zur Abschiedsfloskel verkommenen „ich liebe Dich“ am Telefon?

Aber positive Rituale verbessern die Beziehungsqualität, und wie liebevoll man im Alltag miteinander umgeht ist – ganz unabhängig von allem anderen - ein starker Prädiktor für die Beziehungsqualität. Darüber hinaus ist Küssen Kommunikation. Man kann mit einem Kuss nicht nur „ich möchte wissen, ob wir zueinander passen“ oder „ich will, dass du Sex willst!“ aussagen, sondern auch, „ich mag dich!“, „wir gehören zusammen!“, „ich freu mich, dass du wieder da bist!“, „sei nicht mehr traurig!“, man kann mit einem raschen Kuss sogar sagen: „Hör auf zu nerven!“

Und natürlich sorgt schon allein mehr Kommunikation für eine bessere Beziehung bzw. eine bessere Partnerwahl. Küssen Sie sich! Man muss ja nicht immer reden J

 

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© Christine Quindeau