Von der (Un)Möglichkeit ein besserer Mensch zu werden

 


In der Fastenzeit ist es üblich geworden, "sieben Wochen ohne" zu verbringen, sieben Wochen ohne Facebook, ohne Zucker, Rauchen oder Fleisch. Und wer nicht selbst sieben Wochen ohne verbringt, wird den ein oder anderen trägen Gedanken daran verschwenden, worauf er vielleicht mal verzichten könnte.

 

Vor Jahren hörte ich eine Predigt, in der der Pfarrer seine Zuhörer damit schockierte, dass all diese Fastenvorhaben nichts mit Askese und ein besserer Mensch werden zu tun hätten. Askese sei dazu da, dass das Ego kleiner würde, man sich und seine Bedürfnisse weniger wichtig nähme. Dies sei genau das Gegenteil von den Selbstoptimierungen, mit denen jetzt die Fastenzeit begangen werde. Er behauptete, man hätschele damit nur sein Ego. Wörtlich sagte er: man solle kein Riesengeschiss um die Fastenzeit machen, sondern lieber täglich beten, aber das das ganze Jahr hindurch, wenn es einem um die Nähe zu Gott ginge.

 

Der Pfarrer lief bei der Predigt die Reihen hoch und runter und wusch uns allen kräftig den Kopf, rhetorisch geschliffen, dramatisch, scharfsinnig und witzig. Es war wie im Theater.

 

Allerdings blieb der Applaus aus. So etwas hört niemand gern. Natürlich kann man sich der Beobachtung kaum entziehen, dass Leute, die sich anstrengen, ein besserer Mensch zu sein, oft ich-zentrierter und intoleranter werden. Militante Nichtraucher kennt man von früher als Schlagwort, jetzt sinds die „Gutmenschen“, die Veganer, die politisch Korrekten. Sie alle stehen unter dem Verdacht sich vielleicht ethischer zu verhalten als andere, aber dabei an Intoleranz und Einbildung zugelegt zu haben.

 

Das ist ein seltsames Paradox, das man in allen Bereichen findet: durch den Willen etwas zu erreichen und sich zu verbessern, entsteht automatisch und unweigerlich neben der Verbesserung eine Entwicklung, die den Fortschritt aushebelt.

 

Wanderer und Bergsteiger kennen diesen Widerspruch „Für Abkürzungen haben wir keine Zeit!“ sagen sie. Womit sie meinen, wenn man die Route verlässt, muss man durch unwegsames Gelände oder bleibt vor einem Felsmassiv stecken und braucht für den kürzeren Weg regelmäßig länger als man für die reguläre Route gebraucht hätte. 

 

Auch beim Abnehmen kennt man den Effekt, dass man schon zuzunehmen scheint, wenn man sich nur vornimmt, abzunehmen. Tatsächlich hat man herausgefunden, dass allein der Vorsatz abzunehmen bei vielen Menschen dazu führt, die Nahrung künftig besser zu verwerten. Der clevere Körper verarbeitet die physiologischen Signale, die der Abnehmwille auslöst und sagt sich: „Schlechte Zeiten kommen, die Nahrung wird knapp, ich muss mit dem Wenigen, was ich kriegen werde, auskommen und die Kalorien besser verwerten!“

 

Alles folgt eben der Regel des Ausgleichs, dem Prinzip der Homöostase. Auf Actio folgt Reactio. Und so verlaufen die meisten Bemühungen uns oder unser Leben zu verbessern im Sand oder haben Nebenwirkungen, die die erzielten Effekte zunichte machen. 

 

Nur was ist die Alternative? Im Sumpf der eigenen Unzulänglichkeit hängenbleiben, weil ja jede Bemühung gleich wieder eine gegenläufige Reaktion auslöst?  Und kennt man nicht auch Beispiele, von Menschen, die es geschafft haben, die sich in mittleren Jahren ohne sportliche Erfahrung für einen Marathon fit trainiert oder die sehr viel abgenommen haben? Wie kommt man aus den Fesseln des Mechanismus heraus?

 

Wenn man sich diese (seltenen) Erfolgsstorys anschaut, fällt auf, dass es immer um den langen Weg geht. Dass diese Menschen ihr Training oder ihre Ernährung zur Gewohnheit werden lassen. Mit der Gewohnheit trickst man sozusagen die Psyche aus, die bei jeder Änderung versucht einen Ausgleich zu schaffen. Wenn man ab und zu Sport macht, wird man das Bedürfnis haben, danach mehr zu essen, wenn man regelmäßig leichten Sport macht, nimmt man es nicht als Anstrengung wahr und der Körper registriert: "Äußerst mäßige Belastung, die mein Besitzer da treibt, kein Grund einen Alarm auszulösen..."

 

Jede Änderung findet durch die Gewohnheit statt, nicht durch Heldentaten und große Anstrengungen. Gewohnheit finden wir unsexy, in uns lebt das Narrativ der großen schicksalswendenden Aktion. Der einen großen Reise, die alles verändert oder der einen Begegnung. Alternativ irgendwas mit Schweiß und Tränen und Kampf. Aber wenn man echt etwas ändern will, muss man es sofort tun und regelmäßig… so lange bis man es nicht mehr als etwas anderes wahrnimmt, sondern als Teil von sich selbst. 

 

Solange das Ziel außerhalb von einem liegt und man versucht es zu erreichen, wird man immer wieder scheitern. Wenn wir das Ziel in Besitz nehmen durch die Gewohnheit, ist es zu unserer Eigenschaft geworden, sind wir das Ziel. 

 

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© Christine Quindeau